Stinkt

 

Ich liebe ihn. Eindeutig, ich liebe ihn. Nichts außer wahrer Liebe lässt uns solche Heldentaten vollbringen, wie ich sie nun in Angriff nehmen werde. Was sind Treueschwüre, was sind Ringe, was ist das große berühmte Ja-ich-will gegen mein schlichtes: "Lass mal. Ich mache das schon."
Wir waren noch etwas trinken nach dem Spiel, dann fuhr ich ihn zum Bahnhof, wo er mit Schrecken feststellte, dass er gedankenlos die Tasche eingeladen hatte. Er war an der Reihe, sie mitzunehmen und hatte vergessen, mit jemand anderem zu tauschen. Und ich, ich sprang ohne Zögern in die Bresche für meinen Geliebten, heldenhaft: Sorge dich nicht, ich mache das. Ja. Ich wasche die Trikots deiner Handballmannschaft.
Und da stehe ich. Vor mir die Waschmaschine, zu meinen Füssen die Tasche. Ich habe meinen Lieblingspulli ausgezogen, er hängt sicher im Wohnzimmer über dem Sofa. Mein Heldenmut ist leicht gedämpft, überlagert von dem, was entwich, als ich den Reißverschluss der Tasche aufzog. Ich entscheide mich, die Tür zu schließen und das Fenster zu öffnen.
Beherzt mache ich mich dann ans Werk, ergreife das erste Trikot mit Daumen und Zeigefinger und ziehe es aus der feuchten Umarmung seiner Artgenossen. Ich habe den Halsausschnitt erwischt, träge baumelt schweißgetränktes Polyester Größe XL an meinem ausgestreckten Arm und enthüllt die rücklings aufgeflockte Neun. Ich weiß, wer die Neun trägt. Er ist groß, breitschultrig, mit einem massigen Hals und urtümlicher Behaarung, die im Sommer gerne männlich dunkel aus dem Ausschnitt seines T-Shirts quillt. Ein Bär von einem Mann. Ein durchaus netter Bär. Jedoch scheint es, dass auch nette Bären mächtig anfangen zu stinken, wenn sie eine Stunde lang von rechts nach links und zurück einem Ball hinterherhetzen.
Ich frage mich - während ich zusehe, wie der im Trikot gesammelte Schweiß, endlich aus der Enge der Tasche befreit, sich genüsslich an der eben noch frischen Luft zersetzt - ich frage mich, was sich alles aus dreckiger Wäsche lernen lässt. Und ob es nicht Geheimnisse gibt, die besser ungelüftet am Boden der Tasche vermodern. Wollte ich so genau wissen, wie ein abgekämpfter Bär riecht? Ich hole einmal tief Atem am Fenster, stopfe das ranzige Bärenfell in die Maschine und ziehe mit spitzen Fingern das nächste Trikot hervor. Es verrät mir, dass Nummer vier besonders am Rücken schwitzt. Nummer sieben dagegen eher unter den Armen. Und Nummer drei aß heute etwas zu Mittag, das dem Produkt seiner Schweißdrüsen eine ganz besondere Note verleiht.
Zeit, sich die Hände zu waschen.
Gummihandschuhe, denke ich, während ich  in der Küche stehe und meine Arme einseife. Ich brauche Gummihandschuhe. Aber ich habe keine, und ich bekomme heute auch keine mehr. Es ist Samstagabend. Viertel vor elf, teilt mir die Küchenuhr mit, zu spät, um bei den Nachbarn zu klingeln. Bis morgen früh warten? Nein. Es sind noch keine drei Stunden seit dem Abpfiff vergangen und die Trikottasche riecht schon wie eine Herde Büffel. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie das morgen stinkt.
Habe ich nicht irgendetwas entbehrliches, um es über meine Finger zu stülpen?
Doch. Ich habe etwas. Und ich finde es ganz hinten im Garderobenschrank: Die nostalgischen Handschuhe, die meine Mutter mir aufs Auge drückte, als ich letzten Winter vor ihrem Haus barhändig den Gehweg kehrte. Fäustlinge aus Kunstleder, mit langhaarigem Fell auf den Handrücken, in Brauntönen gestreift. Einen alten Schal finde ich auch noch. Ich tränke ihn großzügig mit Teebaumöl - das desinfiziert - und vermumme mich.
Solcherart gewappnet begebe ich mich frischen Mutes zurück in die Höhle des immer noch ungewaschenen Löwen. Und frischen Mut brauche ich, denn ein Blick in die Tasche zeigt neues Grauen. Die ultimative Herausforderung aller waschfreudigen Sportlerfrauen hat sich an die Oberfläche gearbeitet. Ich wusste, dass es irgendwann passieren würde, aber ich hatte gehofft, noch etwas verschont zu bleiben, doch hier ist sie: Die durchgeschwitzte Handballhose. Sie wirkt harmlos, ein dunkles Häufchen, ein bisschen klebrig vielleicht, aber auch nicht schlimmer als die Trikots? Weit gefehlt. In diesem friedlich vor sich hin müffelnden Stoffknäuel verbirgt sich die übelste Erfindung seit Abschaffung des Lendenschurzes: Die atmungsaktive Innenhose. Atmungsaktiv bedeutet, sie lässt den Schweiß hinaus nach draußen, dorthin, wo ich jetzt bin. Innenhose bedeutet, dass nicht sicher davon auszugehen ist, dass der betreffende Handballer noch etwas darunter trug. Was da also so feucht schimmert, dort, wo ich jetzt hinpacken müsste, ist das ungefilterte Produkt der Poren eines Handballerhinterns. Und die Hosen sind nicht nummeriert. Ich weiß also noch nicht einmal, wessen Hinternschweiß mir da entgegenlächelt. Nicht, dass es das Ganze verlockender machen würde. Aber man ist sich doch gern im Klaren darüber, wo man so reinfasst.
Ich allerdings bin ja gut gerüstet. Liebevoll betrachte ich meine hässlichen, aber wasserdichten Fellhandschuhe. Mütter wissen eben doch, was man braucht. Ich mache ein paar Greifübungen - das Kunstleder ist alt und steif - dann klemme ich das unidentifizierte Stinkobjekt zwischen meine Pranken und bugsiere es trockenen Fingers in die Waschmaschine. Na bitte. Ein Kinderspiel mit der richtigen Vorbereitung. Eins nach dem anderen schaufele ich sie nun in die Trommel, Trikot, Hose, Hose, Trikot - einmal nachstochern mit der Klobürste und weiter im Takt: noch ein Trikot, noch eine Hose, bis auch der Bodensatz der schweißigen Masse in der Waschmaschine verschwunden ist.
Pulver drauf, Tür zu und eine halbe Flasche vom Deo meines Mannes in die Tasche entleert - Geschafft.
Zeit für ein spätes Abendbrot.
Aber den Harzer Käse lasse ich heute im Kühlschrank.

 

 

 

© Carolin Schlipf MMVI